Datt Dorf.

Stengelte-Fest 2023 – PDF

 

 

 

 

Haldern Pop Tagebuch II

Vorwort

Ich weiß nicht, ob es angebracht ist, das erste vom zweiten Tagebuch zu trennen. Als erstmalig diese Welt im März runtergefahren wurde, erzählte ich von den Stimmungen, Beobachtungen und spazierte mit Ablenkung raus aus dem Fenster der Bar in die Gärten und den Wald. Ich ströpte durch das Naheliegende, die kleine Welt, die uns Weltenbürgern mittlerweile so fern erscheint. Bei der wiederholten Schließung der Bar schuf ich mit meinem Bruder Christoph Typen, Tiere und Dinge, mit denen wir durch den Alltag schwimmen. Manchmal bin ich tiefer getaucht, um das merkwürdig Andere zu entdecken, das in jedem und allem steckt, wenn man sich die Zeit dafür nimmt.

Das zweite Tagebuch widme ich dem Kleinen, Nahen und dem Wenigen. Vielleicht ist diese wiedererlangte Überschaubarkeit der besondere, wertschätzende Aspekt dieser ungewöhnlichen Zeit. Solange wir drin vorkommen, noch keine Zahlen sind und dem Windkanal der allgemeinen Erwartungen entgleiten, ist es das ganz normale Leben. Wenn einem alles zu groß wird, kann einem weniger viel bedeuten, Nähe wärmt und die liebevolle Kleinigkeit hängt selten ferner als unsere Arme lang sind.

 

 

Kinder, alle mal bitte reinkommen.

Hollywood manifestiert das Ideal, dramatisiert den einen großen Traum und der Rest soll wissen, was oben und unten ist. Amerika, das Land der fantastischen Geschichten. Diesem wunderbaren Land und seinen Menschen drücken wir in diesen Tagen ganz feste die Daumen. Das Wort klein wird an Bedeutung gewinnen, auch bei uns, ohne Drama aber vor jeder Tür.

Wir waren vor kurzem im Erzgebirge, um von unserem Dorf zu erzählen, von euch und dem Umstand, dass das Leben in kleineren Einheiten, mit sichtbaren Ufern, unglaublichen Tiefen und klirrenden Höhen, ein besonderes sein kann. Den Dörfern und Landstrichen, von Ökonomen auch gerne „die Fläche” genannt, wird der Hof gemacht. In der Provinz scheint etwas vergraben, was vielleicht die Zügigkeit der Zeit übersehen oder überfahren hat. Jetzt wird wieder gesucht, besucht und in das Innere der Dörfer geschaut. Es ist viel Platz, viel weißes Papier, eine nervöse Gegenwart sucht für die Zukunft. Manchen kommen diese Orte bekannt vor, andere glauben, damals nichts übersehen zu haben. Es war die Angst der Vorfahren, die diese Plätze schufen, erst einen, dann drei, irgendwann hörten sie auf zu wachsen und einige zogen weiter, dem größeren Feuer auf der Spur. Manche Fähigkeiten kann sich ein Dorf nicht leisten, dann schaut man anderswo. Der Vorletzte passt auf den Letzten auf. Das Licht brennt solange die Busse fahren, die Masten senden und die Dörfer ineinander übergehen, sich mit Eigenart verschränken und geduldig und streitbar bleiben. Die Hörsäle dürfen auch mal die Theke, Umkleidekabine oder der Stammtisch sein. Ob kopflos, einarmig oder mit Abitur, die Beobachtung bleibt selten ohne Erkenntnis, nicht jede Zusammenkunft ist ergebnisorientiert, es bleibt was hängen. Wir erheben es zu einer Wissenschaft und die Politik fahndet nach Erkenntnis, warum das so ist, an einem regnerischen Tag in Flöha, nahe Augustusburg. Wir ahnen die Renaissance von „klein“. Ein seltsamer Ausflug, ein guter auf der Suche nach den Gründen.
Weil man uns immer öfter fragt, wie das so bei uns im Dorf denn ist, erzählen wir gerne von den dörflichen Figuren und Dingen, geben ihnen einen Namen und feiern dann weit von Zuhause gedanklich Schützenfest, berichten von unseren Höfen, Tieren, der Pop Bar und anderen Allgemeinplätzen, von unserem täglichen Leben.

Wir stellen in den kommenden Tagen mal Typen und Dinge vor, von denen wir gerne erzählen, wenn wir woanders sind, aber zu Hause fühlen.

Zeichnungen:
Christoph Reichmann

Kolorierung & Texte:
Stefan Reichmann

 

Paul Frühling
02. November 2020
Tag 1

Wir reden über Paul Frühling, einem begeisterten Schützen, der ab und an auch gerne mal König ist, Kinder hat, weil er selbst mal eines war und es regelmäßig gerne wieder zum Vorschein bringt. Er liebt das Handwerk und die Geselligkeit, die Reihenfolge ist flexibel und wenn es mal Ernst wird, wohnt dieser auch nur drei Türen weiter. Paul weiß genau, wann der Tag reif ist, um ihn zu belohnen. Er schenkt der Kirchengemeinde eine Stunde die Woche, dem Ehrenamt den Rest von dem, was Existenz und Geselligkeit übrig lassen. Paul glaubt, dass die Mitte des Dorfes es besser weiß, Geschichten werden nicht „schlecht“, wenn man sie zügig weitererzählt. Gute Erzählungen leben um die Ecke, sprühen vor nicht lebensbedrohender Schadenfreude und verabschieden sich meist mit einem „hätte ich nie gedacht“.
Paul Frühling ist ein traditionsbewusster Genussmensch und fleißig noch dazu, verheiratet mit Svetlana Frühling, geb. Rebrov, mehr zu ihr später. Es ist oft auch eine Welt der verkehrten Wahrnehmung, dass das, was man selbst von sich glaubt, selten auch die anderen über einen denken – und das teilt man sich zum Glück mit vielen auf dem Land. Der Fleiß ist eine Währung und normal zu sein, eine Auszeichnung, da kann man sich drauf verlassen. Paul ist auch mal faul, gerne fleißig und am allerliebsten unter Leuten. Scheitern war für ihn immer eine Option, schließlich hat die Woche 7 Tage und noch mehr der Monat, am Ende ist Weihnachten, Feierabend.

 

Svetlana Frühling
03. November 2020
Tag 2

Svetlana Frühling, geb. Rebrov, kommt gebürtig aus Lemberg, dem Florenz des Ostens. Eine Stadt in der Ukraine, die kulturgeschichtlich ähnlich viel Besuch hatte wie Paul Frühling um das Schützenfest im Juli herum. In Lemberg, heute auch Lviv im Ukrainischen genannt, hinterließen die gestaltungsfreudigen Gäste allerdings epochale Bauwerke der Gotik, Renaissance, des Barocks und Jugendstils zurück, die Kumpels von Paul dann doch eher Leergut.

Wie Svetlana zu Paul kam oder Paul zu Svetlana, ist ein Zufall, der sich damals in Münster zutrug, als sie dort, neben ihrem Studium der Kunstgeschichte, mit ein paar Führungen in einem Museum etwas Geld zum Studium dazuverdiente. Eine Reisegruppe der Kirchengemeinde St. Georg Haldern, der auch Paul beiwohnte, wollte den historisch wertvollen Halderner Altar besuchen. Als sich die illustre Runde um den Altar versammelte, trug Svetlana ihren gewohnten Text zu diesem künstlerischen Objekt vor und wartete auf anschließende Fragen, die auch prompt kamen, z.B. wo die Toilette sei oder warum dieser Altar nicht wieder im Lindendorf stehen könnte. Paul zeigt auf und fragte die junge schöne Frau, ob sie vielleicht ein bisschen mehr von sich erzählen könnte, schließlich wäre der Altar ja schon sehr alt. Er mochte diese Art der Komplimente und wie wir heute wissen, war er auch gut darin. Nach einem stimmungsvollen Abend mit Altbierbowle, auf die man sie anschließend einlud, ergab sich ausreichend und aufregende Unterhaltung, die zu einer Freundschaft mit Svetlana und Iris führte, der Freundin von Ernst. Ihr erinnert euch, er wohnt auch am Markt.

Was dann geschah, ist sehr privat, nur noch so viel sei gesagt, es geschah am helllichten Tag, er trug eine Uniform und sie verliebte sich in seinen Bart, sein Lächeln und das zuversichtliche Kind in ihm. Svetlana mag seinen übersichtlichen Freundeskreis, ihre Freundin Iris ihre Stelle im Kurhaus Kleve und dass, durch ihr Smartphone, Lemberg nur einen gefühlten Wimpernschlag vom Niederrhein entfernt ist. Sie hatte die Wahl, wie viele Millionen Menschen in den USA heute, sie hat sich entschieden, ein kleiner Traum, aber kein einsamer. Sie ist glücklich mit Paul verheiratet und Mutter ihrer drei Kinder, Konstantin, Ferdinand und Ludmilla, mag die Geselligkeit, ähnlich wie Paul, und keiner ist besser im Zuhören als sie.

 

Apfel & Birne
04. November 2020
Tag 3

Heute haben wir die Wahl, eine eher erfrischende. Mein Sohn sagte bereits beim Frühstück, ganz klar der Apfel. Die Birne stand entkernt auf dem Tisch. Man solle sie ja nicht miteinander vergleichen, so sagt man. Warum eigentlich nicht? Wer hat das erfunden, ein Philosoph, ein Gärtner oder Maybrit Illner? Da gäbe es noch die Kombination Birne und Kohl, Auge und Apfel, alles keine Saftformate. Eine Redewendung aus dem Alltag unendlicher Diskussionen.

Apfel- und Birnbäume wachsen in den Gärten, filtern die Nervosität aus dem Nacken und bleiben gerne stehen, wo sie gepflanzt wurden. Sie besitzen etwas Zeitloses, Unaufgeregtes und erinnern uns an die Jahreszeiten.

Im Frühling verzieren sie blütenreich die Gärten und Wiesen, bezaubern unser Gemüt, rahmen Haus, Hof und Wege. Als Streuobst anthroposophisch, kreuz und quer, als Spalierobst auch mal preußisch geordnet. Ihre Baumkrone entspricht der Form ihrer Frucht, das sagt der Obstbauer.

Im Sommer lieben wir ihren Schatten, die knorrigen Äste zum Klettern und den dicksten Ast für die Schaukel. Schön erzählte Bilderbücher zitieren mit Obstbäumen, um geborgene Idylle zu illustrieren. Sie können eine Menge, und mit ihrem stillen Fleiß spendieren sie uns im Herbst ihre Früchte, die wir dann genießen und lagern bis es neue gibt. Als wertig gebrannter Geist destillieren wir eine Handvoll zur Inspiration für dunkle Monate, um wegzufliegen, mal kurz woanders zu sein, um wiederzukommen.

Im Herbst fallen ihre Blätter, sie ziehen sich zurück, wie wir Menschen, werden unauffälliger und geizen mit Aufsehen. Es sammelt sich für das kommende Jahr, zuverlässig und ganz unaufgeregt. Ich setze mich nun in die Sonne, versuche an Reife zu denken und gewinne an Farbe.

 

Samira
05. November 2020
Tag 4

Samira lebt und legt relativ zentral zur Kirche, quasi mittendrin im Geschehen. Sie findet das großartig, denn sie weiß gern Bescheid. Sie tippelt hier bereits in dritter Generation durch den Garten und den Stall, hat überhaupt kein Verständnis für Eierspeisen, aber fügt sich dennoch dem Bedarf. Sie wundert sich immer wieder, dass hier nicht schon alles voller Häuser steht und freut sich, dass sich die hier zuständigen Menschen über eine Wiese, Garten und Hühner erbauen können, wo gibt es das noch?

Einmal die Woche proben die Kinder der Hausherr(i)n und die der Nachbarn, sie erscheinen gut gelaunt und motiviert, verschwinden im Keller, es wird laut, spät wieder leiser. Zum guten Schluss gibt’s im Garten ein Feuer und viel Gelächter bis tief in die Nacht. Samira fehlt hier die Struktur und an diesen Tagen legen sie nicht.
Ihre Mutter kam seinerzeit als Ei, warm und bestens bebrütet, aus der Region Masuren hier an den Niederrhein, der Hahn unbekannt. Das Leben eines Huhns kennt auch die Eitelkeit, das Liefern empfindet es als Routine, Samira liebt die Gesellschaft, im Besonderen die Unförmigkeit der anderen. Das von Gott Wohlgeformte braucht den Kontrast, den Rahmen zum Glanz.

Ihre Eier sind die Dicksten. Keine ist so großartig wie sie, und Caruso der XVIII, der Hahn, ist ihr Held. Sie würde gerne mal wieder brüten, kleinen Küken von ihrem schönen Leben erzählen, für sich begeistern. Auch Samira braucht Resonanz, sie will gemocht werden und denkt, es muss weitergehen, Spiegeleier sind nur halber Kram.

 

Caruso der XVIII
06. November 2020
Tag 5

Caruso der XVIII, ein stolzer Hahn, bunt, aufrecht – Samira kann er gut verstehen. Bekannt für seinen Gang, stolziert er durch den Garten, es braucht Übersicht und Verantwortung. Für seinen philosophischen Ansatz, sein ländliches Leben zu denken, wühlt er gerne in der Weltliteratur. Hier und dort mal ein Zitat von wem auch immer, und sein Gang war kein überflüssiger. Über den Dingen zu stehen, die Menschen zu wecken und zur Arbeit zu schicken, ja das liebt er.

Karneval ist für ihn eine Überzeichnung der Realität, entweder hat man es oder man hat es nicht. Der Spiegel am Morgen ist ein anderer, als der am Abend, ein Blick der Hühner, das reicht. Würde hält warm, davon ist er überzeugt, zu wärmen und zu strahlen, das ist seine Passion. Das mit XVIII hat er sich selbst um den Hals gehängt, das hätte nichts mit Eitelkeit, viel mehr mit Ordnung zu tun. Klarheit wäre wichtig im Leben und auch die Kunst der Präsenz.

Gerne spricht er von seinem geflohenen UrUrUr-Großvater, der auf einem kleinen Hof in Schweden allen Damen den Kopf verdrehte, dies allerdings zum Leidwesen eines eifersüchtigen Katers. Es war sowieso zu klein für ihn und Schönheit den Puristen ein Dorn im Auge. Zudem war er ein hervorragender Sänger, er hatte Fans, aber auch kulturlose Widersacher, es gab nur den einen Weg, weg. Mit dem Schiff über Rotterdam an den Niederrhein. Geblieben ist er dort, wo er Ähnlichkeiten seiner selbst auf dem Kirchturm erkannte und im benachbarten Garten ein begeistertes Publikum fand. Bis heute erzählt Caruso der XVIII diese Geschichte, um seine Herkunft zu spüren und aufrecht im Kreis durch den Garten zu schreiten, jeder Tag ist ein besonderer.

 

Marlene Doppelrabe
07. November 2020
Tag 6

Eigentlich wollte Sie Tänzerin werden, vielleicht Paris, der Broadway oder gerne auch Graz. Ein bisschen anders ist es gekommen, es fügte sich gleitend in ihr Leben und zu Heinz. Tanzen tut sie hier in der niederrheinischen Ebene, von Tisch zu Tisch, von der Küche bis in den Garten, elegant beschwingt und mit geschlossenen Augen, vor einem oft ausverkauften Haus. Das Publikum ruft Zugabe, bis ein konkretes „Entschuldigung …“ es wieder zum Gast werden lässt. Marlene hat gelernt, sich auszurichten, um sich einzurichten. Was ihr fehlt, stellt sie sich vor. Jede Beobachtung fließt in ihren Auftritt, eine Interpretation aus Stimmung, Aufmerksamkeit der Gäste und dem Duft der Speisen.

Ihr Zauberer komponiert in der Küche, seine Gerichte sind Marlenes größte Inspiration, sie verbinden alles mit allem, tragen sie auch an trüben Tagen. Es ist Musik in ihrem Kopf, sie übersetzt es in Eleganz. Diese Form des „Service-Yoga“ zu beherrschen ist ihre Kunst, um die Arbeit mit Freude auszukleiden, die Mühsal in himmlische Höhen zu treiben und um ihrem geschmackvollen Anspruch täglich gerecht zu werden.

In diesem Milieu umarmt der Gast den Moment, bestellt das Besondere, der Genuss wird schwindelerregend. Marlene geht nicht einfach zur Arbeit, das Restaurant wird zur Bühne, sie trägt vor und auch auf, sehr konzentriert und mit graziöser Spannung und Anmut. Es ist ein wichtiger Teil in ihrem Leben, auch dieser Ort ist präzise gewählt. Heinz der Zauberer ist ihre Muse, sein Kochen ihr Tanz. Sie ist gerne einmal am Tag müde, um glücklich diesen kleinen feinen Organismus Revue spüren zu lassen.

 

Heinz Doppelrabe
08. November 2020
Tag 7

Manchmal, wenn er zur Ruhe kommt, stellt er sich selber die Frage, wie er zum Kochen kam. War das die Oma mit ihren unübertroffenen Rouladen, ihr Gurkensalat oder diese unbewusst wahrgenommenen Düfte aus der Küche der Mutter, die immer freudige Zusammenkunft andeuteten? Mit Gastronomie hatte man in seiner Familie beruflich nie etwas zu tun.

Mit Asterix & Obelix bereiste er früh die Welt, schmunzelte gerne über die Eigenarten der Protagonisten und Nationen, ihre Beweggründe, der Appetit war immer ein wesentlicher dabei. Diese Geschichten schmeckten, und wenn alles am Ende zum Guten kam, wurde getafelt. Man konnte der Welt auch kulinarisch begegnen, dort gab es viel zu entdecken und zu probieren. Gut zu essen war ihm als Kind schon sehr wichtig.
Marlene denkt noch heute, dass er das große Fenster mit dem Blick von der Küche auf die Restaurant-Terrasse einbauen ließ, um einen besseren Überblick zu haben und seine Neugierde zu stillen. Was sie bis heute nicht weiß, es soll auch so bleiben, es ist einzig und allein seiner genussvollen Beobachtung geschuldet, ihr beim Servieren zuzusehen. Er liebt ihren schwungvollen Gang, wenn sie sein Essen so hingebungsvoll und elegant platziert. Es veredelt das Ereignis, von der zerlassenen Butter bis auf das weiße Tischtuch, wie aus einem Guss. Sie machen das alles hier gemeinsam und so soll das auch wirken. Der Umgang mit den Lebensmitteln, die gemeinsamen Zeit und der genießende Gast sind ein hohes Gut, ein erfüllendes noch dazu.

Wie er zum Kochen kam, wird er sich noch oft fragen und Asterix & Obelix kommt dann immer wieder auf den Tisch.

 

Rosalinde
09. November 2020
Tag 8

Hinter den zwei Bergen, tief am Waldesrand, liegt das Zuhause von Rosalinde. Ihr Name fügt sich aus ihrem Antlitz und der Heimatverbundenheit der Bäuerin.

Es ist ein Paradies für Sauen, rosa und wild dürfen sie sein, Eicheln naschen und sich in einem der letzten Schlammbäder der Region suhlen. Das schütz vor Hitze, Mücken und anderem Getier. Rosalinde kennt ihr Schicksal, tapert unter den vielen Obstbäumen umher, frisst und ist, der Moment krönt ihr Leben.

In diesem Jahr scheint einiges anders zu sein, viele Menschen auf dem Rad und zu Fuß streifen ihr Gehöft, harren aus und haben Zeit. Das Wetter ist gut, aber die Tendenz gibt‘s schon seit einigen Jahren. Sie erkennt sofort in den Augen der Betrachter, wer sie einordnen oder überrascht zur Kenntnis nimmt. Noch nie hat man ihr so viele kleine flache Dinger, mit einem sanften klick, vor die Schnauze gehalten. Irgendetwas scheint anders zu sein, aber sie weiß nicht genau was. So viele Leute sollten ihr eigentlich Sorgen bereiten, ungewöhnlich diesmal, das Gegenteil ist der Fall. Sie laufen langsamer als sonst, schauen genauer hin, wirken allgemein aufmerksamer für all die Dinge um sie herum. Haben sie sich was abgeschaut, konnte man von ihr, der Rosalinde, vielleicht etwas lernen? Das wäre ja was.

 

Nevada
10. November 2020
Tag 9

Nevada ist schon ein seltsamer Name für eine Kuh am Niederrhein, man gab ihn ihr und er blieb hängen, wie eine schlecht genähte Narbe, für immer und fast ewig.

Sie kennt Rosalinde, sie leben auf dem gleichen Hof, eine andere Wiese, total unterschiedlich in ihren Sichtweisen. An guten Tagen erklärt sie sich die hohe Besucherfrequenz schlicht und ergreifend mit ihrem guten Aussehen, dem gepflegten, schwarzweißen Fell und dem vertrauten Auftreten. Sie kann Milch, diese kann Eis, Butter, Sahne und vieles mehr. Jeder will wissen, wer sowas schafft, zweimal am Tag, 7 Tage die Woche: sie.

Was Rosalinde wohl für besondere Fähigkeiten besitzt? Fleißig ist sie mit Sicherheit nicht. Angst hat sie keine, was schenkt ihr diese Sicherheit? Ist das denn besonders und wo kommt sie her, diese Sicherheit? Wenn ihre Gedanken sie so ins Abseits des so sonnigen Tages tragen, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass er zum Ende noch ein Schlechter werden kann. Fressen ist keine Arbeit, das macht sie schließlich auch – etwas geben, was man selbst geschafft hat, das macht den Unterschied. Sie muss mal mit ihr reden, das mit der Sicherheit, ihrer Unbekümmertheit, es würde sie schon interessieren. Wo steckt der Aufwand, wie geht das?

 

Kaffeekanne
11. November 2020
Tag 10

Kaffee ist hier bei uns eine große Geschichte, fließt in all die noch so kleinen feierlichen Augenblicke des Tages, schafft Unterhaltung. Kaffee hält die Zeit an, wärmt von innen, sein Geschmack stimuliert. Es fließen die Worte, Neugierde und Erkenntnis werden mit guter Erzählung gestillt. Es duftet nach Neuigkeit, da fährt der Alltag mal gerne rechts ran, so viel Zeit muss sein.

Wenn wir unterwegs sind, war er schon da, etwas Vertrautes im weit weg. Am besten genießt man ihn bei schönster Aussicht, nach gutem Tun und mit dem kleinen Feierabend in den Beinen. Ein Freund der Zeit, sie gehören einander. Kaffeekannen überzeichnet man gerne, wie die gute alte Zeit, aus Porzellan und für das Gemüt. Heute sehen die Dinger anders aus, sehr praktisch und im Ergebnis sinnvoll, er bleibt heiß. „Draußen nur Kännchen“, auch so ein Zitat vergangener Tage, eine echte Besonderheit.

Man nahm dem Kaffee die Ruhe, nicht das Aroma, er wurde mobiler. Aus den Kannen wurden Becher, es bekam was von Treibstoff. Heute trinkt man ihn gerne überall, alleine und gerne auch zu Fuß. Der Kaffeedurst ist geblieben, das verbindende Ritual immer mehr auf der Flucht. Zu einem guten Espresso gehören immer zwei, das wird sich nicht ändern, das hat Kultur, das ist Italien.

 

Torte
12. November 2020
Tag 11

Keiner stapelt Kalorien besser als der Konditor. Üppigkeit ist eine Haltung, der Preis vom Fleiß und in jeder guten Backstube Programm. Torten sind korrigierbare Beulen der Vernunft, das Weglassen konnte Picasso besser, da er aus dem Vollen schöpfen konnte, er beherrschte die Kunst des Ausdrucks.

Der Konditor tupft die Schönheiten in unser Leben, gibt dem Ereignis Glanz und sorgt für spontane Entgleisung. Trifft sie auf den Kaffee, dann wird getafelt. Schafft der Likör es aus der stillen Ecke des Schrankes auf den Tisch des Hauses, kann Unmögliches geschehen.

So tummeln sich die guten Gründe des Lebens an einem verregneten Tag am Niederrhein. Was wäre der Sport ohne Torten oder Karneval ohne Aschermittwoch?

 

Rebecca Albertina
13. November 2020
Tag 12

Das Spiel mit Puppen war ihr sehr wichtig, sich zu bewegen auch. Das Ballspiel gefiel ihr ebenso wie gut auszusehen. Alles in allem, eine ganz normale Rebecca.

Sie ist die jüngste Tochter des Dorfpolizisten Hans Albertina, an ihren beiden älteren Brüdern hatten sich die Eltern bereits ihre erzieherischen Hörner abgestoßen, sie war für Mutter Elisabeth die Kür, und ein Mädchen noch dazu. Papa Hans hatte immer viel zu erzählen, wenn er nach Hause kam. Er wusste eine Menge darüber, was im Dorf passierte und alle, die dafür Sorge trugen, die kannte er meist auch. Sehr früh hing sie an seinen Lippen, sog all das auf und ordnete zu, wer mit wem und warum. Es ergaben sich Bilder, Zusammenhänge und wieder neue Geschichten, deren Ausgang abzuwarten wäre. Eigentlich war eine Menge los, weil auch viele Leute im Dorf unterwegs waren.

Hotzenplotz war gestern, Gut und Böse gab es weiterhin, das war spannend und eine überschaubare Welt. Räuber & Gendarm mit ihren Brüdern und den Kindern aus der Nachbarschaft, war ein täglicher Zeitvertreib. Der Streit nahm immer dann seinen Lauf, wenn keiner sich traute, sie aus den Baumkronen zu pflücken, die Regeln wurden angepasst und sie war raus. Aus schlecht gut zu machen, sich bewegen und immer wieder die Motive zu studieren, das war es, was sie zur Polizei und in die Fußstapfen ihres Vaters trieb.

Abwechslungsreich, sportlich und spannend sollte ihr Leben sein. Geschichten, wie andere Leute Pilze zu sammeln, sie zu erleben und weiterhin dabei gut auszusehen, war ihre Berufung.

 

Josef „Jupp“ Beethofen
14. November 2020
Tag 13

Jupp kannte Rebecca vom Feuerwehrball, nach jedem Tanz musste er tief durchatmen, das Wort führen kommt wohl von fliegen, sie hatte ein paar PS zu viel, das war klar.

Feuerwehrmann kann ein Beruf sein, Jupp ist aber Installateur und freiwilliger Brandmeister noch dazu, kümmert sich auch um das Festliche am Rande der Truppe. Dieses Gefüge ist ihm sehr recht, Spannung, Ernsthaftigkeit und gesellige Abende haben ein gutes Verhältnis. Vieles weiß man als erster und zu wissen ist wichtig in diesem Dorf, einiges reicht nicht, alles sollte es sein. Man kommt rum und versucht dabei nicht umzukommen. Es wird immer gefährlicher, da alles schneller, groß und viel wird.

Jupp ist eiserner Junggeselle, liebt das Tanzen, Wiener Schnitzel mit Jägersoße und einmal im Jahr mit seinen alten Kumpanen Wilhelm und Bartus eine Woche in den Bergen zu wandern.

Es gibt Tage, da sticht er in See, ohne Ziel und Anspruch, er weiß wohl, dass morgen frei ist. Das Fahrrad kennt die Wege zu Freunden und vor allem den nach Haus. So geht das, solange es Berge, Rohrbrüche und Feuer gibt, freiwillig wird er das auch nicht ändern wollen.

 

Viktor Oppenheim
15. November 2020
Tag 14

Krach und ach, da flog der Rest vom Nest auf den Grund des Schornsteins, direkt vor das kleine Törchen, dem Tor des Schornsteinfegers. So sah er aus, der kleine Sieg des Viktor Oppenheim. Immer froh, wenn er seinem Ruf gerecht wird.

Seine Besuche gleiten immer mehr ab in die Routine, die Heizungen werden immer raffinierter und der Ruß immer seltener, Gott sei Dank. Hier und da muss richtig gekehrt werden, Holzfeuer, Kamine, da muss der Schornstein ziehen, sonst wird gefährlich, was eigentlich gemütlich werden sollte.

Spazierend über den Grat einer Häuserzeile, das verrußte Gesicht und immer wieder diese Kugel, der Draht und am besten noch mit Zylinder, so sähe man ihn noch heute gern. Das Schwarz ist geblieben, die Kugel und das schwere Gerät liegen meist im Wagen und der Papierkram ist das Tablet. Es wird gemessen, verglichen und dann geschrieben, Verordnungen.

Viktor macht das schon, seitdem sein Vater denken kann und er findet es auch richtig gut, dass seine Tochter Barbara sich diesem zufrieden anschließen wollte. Eine rabenschwarze Dynastie, die Familie Oppenheim, eine oft glückbringende, wollen wir dann mal hoffen.

Die Farbe Weiß spielt dennoch eine wichtige Rolle in seinem Leben, seine Tauben, sein indirektes Fernweh und immer dieses gleißende Gegenlicht, da ist alles unklar und groß und seine Verbindung zum Zauberhaften, dem Unerklärbaren. Ein wunderbares Rätsel und stiller Begleiter, seine Frau Hannelore weiß davon.

 

Barbara Obenauf
geb. Oppenheim
16. November 2020
Tag 15

Ganz in weiß, das kann man machen, Schwarz aber ist und bleibt die Farbe ihrer Arbeit. Barbara mag diese verlässliche Gleichmäßigkeit des Vaters, sein stilles und tiefes Dasein hatte etwas Beruhigendes im Hause Oppenheim. Die Familiengeschichte war allgegenwärtig, sie hing an der Wand, wurde immer wieder gerne erzählt und steckte sprichwörtlich in den Kleidern.

Schwarz & Weiß war aber nicht ihre Idee vom Leben, Zwischentöne waren ihr nicht fremd. Gesellschaft wurde gepflegt und Barbara war eifrig in der Jugendarbeit, diese war ein wichtiger Teil ihrer eigenen Erziehung. Ferienlager, eine ernsthafte Konkurrenz zur jährlichen Weihnacht, der Höhepunkt des Jahres und noch heute Quell buntester Erinnerungen, für gute Freundschaften und im Speziellen, die mit ihrem heutigen Mann Cornelius Obenauf, seinerzeit Messdienerleiter. Die Gesellschaft der anderen glich ihre Geschwisterlosigkeit aus. Dosierter Trubel, Familientradition und ein unaufgeregtes Dasein bestimmten ihr Leben. Klettern, Fegen und Glück bringen passen gut dazwischen, es musste kein schrilles sein. Die Dinge flossen im Hause Oppenheim, es hatte Rhythmus und Struktur, Cornelius war glücklicherweise das Gegenteil.

Am Tag ihrer Hochzeit blickte ihr Vater sie strahlend an und sagte leise: „Nicht alles zu wissen und zu können, ist eine wichtige Voraussetzung für die Liebe, dein weißes Kleid ist so wundervoll.“

 

Kutsche
17. November 2020
Tag 16

Meine letzte Erinnerung mit einer Kutsche im Alltag, keiner Hochzeit, Ausflug oder anderem romantischen Kram, war ein alter Bauer an der Tankstelle, als er den Reifendruck prüfte. 1 kalter PS harrte genügsam neben tankenden Autos. Dieses Gespann war im Dorf immer mal wieder unterwegs, man hatte zu tun, keine Folklore. Grün war sie und ein ein-achsiges Gespann. Man findet an den älteren Häusern hier und dort noch im Mauerwerk verankerte Eisenringe, stille Zeitzeugen einer anderen Normalität, hier wurden Pferde, Kutschen und andere eigenwillige Geschöpfe angebunden, um einzukaufen und Dinge zu erledigen, im Dorf.
Bei Kutschen denkt man gerne an Märchen, Überfälle und Aufbrüche in ein neues Leben. Bei uns waren das dann doch vornehmlich landwirtschaftliche Transporte und eben Geschäfte im Ort, die zu machen waren. So manch eine „Landpartie“ soll auch im Graben gelandet oder einem Trupp Halunken zum Opfer gefallen sein, das lässt die Gedanken geheimnisvoll vibrieren.

Alles in allem waren Kutschen der mobile Standard der technischen Entwicklung ihrer Zeit, um zu transportieren, zu reisen, um sich fleißig und elegant von der Gegenwart in die Zukunft zu bewegen.

 

Trecker
18. November 2020
Tag 17

Der Trecker ersetzte nicht die Kutsche, sondern das Pferd oder den Ochsen. Die wiederum halfen bei der mühseligen Feldarbeit oder dabei, schneller unterwegs zu sein. Das Kontrollieren und Besorgen von externer Kraft und Energie war stets ein fantastischer Gedanke der Feldarbeiter, Bauern und der Menschen. Da alles mit dem Pferd begann, spricht man noch heute von der „Pferdestärke“, und von dieser gibt‘s dann hunderte in einem Trecker, jedes Jahr mehr.

Da auf dem Land vieles mit Wachstum zu tun hat, wurden auch die Felder, Träume und Trecker größer, nicht ganz so viel und hoch wie Manhattan, aber b r e i t.

Manche Menschen soll es geben, die sich wenig finden und mehr wollen, sich trainieren, nicht auf den Feldern, vielleicht wie ein Traktor im Exil.

Es gab auch Trecker, die uns zweimal im Jahr die bunte andere Welt ins Dorf brachten, auch harte Arbeit, für uns allerdings eine zauberhafte Abwechslung. Die wunderbare Ankunft der Kirmesleute auf dem Land, von Jacques Tati, erzählt von dem vorauseilenden Postboten, der immer schneller sein möchte als seine Briefe, und der alle kennt. Alles kann passieren, was auch sehr gefährlich werden kann, in diesem kleinen bunten Durcheinander der dörflichen Eigenartigkeiten in der französischen Provinz. Bei uns war es das Pöttern des Lanz Bulldog von Familie Hemmers, eines der wenigen Geräusche, die man am Horizont hören konnte, die, wie kleine rhythmische Paukenschläge, das anstehende Fest ankündigten.

Später sah man Emil, mitsamt seinem dunkelbraunen Wagenzug, auf die Festwiese stottern. Es trug eine unglaubliche Poesie und Vorfreude in sich, die noch heute unbeschreiblich ist. Beide dampften, der eine Zigarre, der andere Diesel, die Taktung schien freundschaftlich und die beiden dunklen Wagen waren die logistische Vorhut. Noch am gleichen Tag sollten die Pik As Bude und die Waffelbäckerei folgen, sie waren hellbraun und das eigentliche Geschäft.

Wie fängt das eigentlich alles an? … und der Trecker ist gefahren.

 

Dr. Anna von
Rheinstein-Wuggert
19. November 2020
Tag 18

Anna ist die zweitjüngste Tochter der vier Kinder von Friederich und Johanna von Rheinstein. Sie wuchs auf dem elterlichen Gut im Rheingau auf. Ihre beiden älteren Brüder, Johannes und Jakob, sowie ihre kleine Schwester, Konstanze, schwammen, seitdem sie denken konnte, immer um sie herum, in dieser Transformation des blaublütigen zum Bürgertum. Streng, schön und weitläufig der Garten, das Haus und die umliegenden Waldungen, eine begrenzte Welt. Sie kannte sich aus in ihr, alles hatte seinen Platz, die Blumen, das Weihnachtsfest, die Familienfeste und der Bach, der scheinbar Johannes und Jakob gehörte.

Beim Verlassen dieses Kleinods war Schule und Vorsicht geboten, das Lesen, Beobachten und Verstehen sollten ihren Weg bestimmen, um diesen Bach zu überqueren, brauchte es einen Plan und Mut. In ihrem hübschen Gesicht wurde schwer gearbeitet, letztendlich entschied sie sich für die List und den Fleiß, vieles lebt in ihrem Kopf, nicht jeder muss das wissen.

Nach der Schule studierte sie in Heidelberg Medizin, traf Armin, eine stille Übereinkunft und Liebe. Ihr gemeinsamer Weg führte sie aufs Land, Anna arbeitete als Kinderärztin in der nächstgrößeren Stadt und Armin ließ sich als Allgemeinmediziner in ihrem Dorf nieder.

Ihre Kindheit und Jugend verließ sie nicht, sie wusste, dass es nicht ausschließlich das Land der Richtigkeit war, ihre Familie pflanzte eine Struktur, die sie nun mit Armin ausmodellierte. Keine Kinder zu haben muss nicht bedeuten, ein kinderloses Leben zu führen.

Konstanze, ihre kleine Schwester, machte irgendwas mit Medien in Berlin. Ihre impulsiven Anrufe erinnerten sie immer wieder frisch an das Andere in dieser Welt und Berlin war weit weg. Ein Besuch bei den Brüdern gehörte auch zum Jahresrhythmus, herzlich, weil dosiert.

Sie mochte das Leben aus der zweiten Reihe, die Beobachtungen in übersichtlichen Milieus, diese Bewegungen zwischen den Dingen und Menschen, ihre jeweiligen Interessen. Sie kannte die Leute, die Roller, die dann Fahrräder wurden, Autos und dann Kinderwagen. Die Welt drehte sich weiter und hier war ihr aufmerksamer Platz. Von Rheinstein-Wuggert verknüpft diese beiden Welten.

 

Dr. Armin Wuggert
20. November 2020
Tag 19

Als Armin erstmalig, an der Seite von Anna, das Gut der Rheinstein betrat, war er sichtlich beeindruckt und kleiner als sonst. Wuchtig und stilvoll, das war zu erwarten, freundlich die Menschen, die dieses Haus mit Leben füllten, eine Überraschung. Er brauchte Argumente, wieder größer zu werden, dass sein Zuhause im Weserbergland auch von Eleganz zu erzählen wusste, vielleicht hilft es ja, dass die von Wittgenstein seinen Vater bei baulichen Sanierungen ihres Schlosses immer um Rat und Tat baten. Zu spät, er hatte seinen Hosenstall offen.

Diese Geschichte sollte noch oft in vertrauter Runde zum Besten gegeben werden, sowie die mit dem gelben Postauto, das er im Hof übersah. Es sind die kleinen Schwächen, mit denen wir uns zuerst anfreunden. Dem Vater von Armin war diese Welt der Wittgensteins ewig fremd, nicht seinesgleichen, zu weit weg von Tun und Fleiß. Armins Mutter konnte aus der Distanz gut damit leben, es war gut für das Geschäft. Bunt und unterhaltsam, diese provinzfürstlichen Eskapaden waren niemals gefährlich.

Was ihm bei Anna schon immer sehr gefiel, war ihr Interesse für das Schöne, das Versteckte im Anderen, sie konnte geduldig suchen, ob in Museen oder bei Menschen, bis sie fand. Passenderweise stellte er Anna seinen Eltern zu Ostern vor, es gab edle Marzipaneier von Niederegger und herzliche Sympathien seiner Eltern, das Ganze ging gut, sie hatten ja auch nur den Armin.

Für ihr jetziges Leben könnte es keinen besseren Ort als dieses Dorf geben, beschaulich, übersichtlich und das Wesentliche unverrückbar. Armins heimliche Leidenschaft gilt dem Vergangenen, dem Heimatverein. In der Gegenwart ist er Arzt und beim Stammtisch reden sie über die Zukunft und leichtverdaulich Alltägliches. An diesem Tisch sitzt fast jede Meinung einer dörflichen Fraktion, vom Nehmer zum Geber, vom Spaßvogel bis zum Skeptiker, ein durchaus streitbares Spektrum.

Was er mit nach Hause bringt, wird von Anna seziert und abgeglichen, vieles konnte sie sich denken, am liebsten sind ihr die Überraschungen.

 

Karotte
21. November 2020
Tag 20

Wenn man das alles glauben darf, was der Volksmund über sie denkt, ist sie für die beiden derzeitig wesentlichen Umstände unserer Zeit relevant und verantwortlich. Möhren sind gut für die Augen und den Teint, stehen gerne in Gärten herum, schmecken vorzüglich, nun gut nicht jedem. Möhrendurcheinander ist grundehrlich und sättigend, mit einer guten Mettwurst sterneverdächtig.

Wir kommen vom Weg ab, gut sehen und auszusehen ist ein reizvolles Motiv, um im Bad viel Lebenszeit zu verbringen. Sehen und gesehen werden hat aber gar nichts mit der klassischen Mohrrübe zu tun. Ihre wie unsere Farbe kann sich ändern, auch ihr Geschmack oder unsere Laune – Wikipedia, Google, Vater und Mutter finden sie gesund. Kleine Babys, Kinder und große Kinder brauchen sie, Helge Schneider hatte oder hat mit ihr zu tun.

Mein Rezept mit der Karotte geht mit Ingwer, Äpfeln und einem kleinen Schuss Olivenöl. Was soll man über eine Möhre schreiben, ihr Mythos ist unzerstörbar.

 

Radieschen
22. November 2020
Tag 21

Ich könnte jetzt alles erzählen, aber dann auch irgendwie nichts über diese bauchige „Kresse“ Knolle schreiben. Bevor der Botaniker ausflippt, Kresse als Metapher für die Rasanz ihres Wachstums. Ihr Rotton und manchmal auch die Schärfe der Frucht sind bemerkenswert.

Als Kind liebte man das Radieschen, da es, genauso ungeduldig wie man selbst, sehr zügig im Garten wuchs. Ohne sie jetzt im Detail zu vermessen, ihr Dasein war allgegenwärtig, nie aufdringlich, eine köstliche Kleinigkeit. Für den grünen Daumen ist es Beiwerk und keine Herausforderung, zu Tisch wird es gerne drapiert, hatte aber nie das Zeug zum Hauptgang.

Die Möhre hat nie schlecht über sie gesprochen, vielleicht weil hier keine Konkurrenz herrschte oder weil sie was von Vielfalt verstand. Das Radieschen zu zeichnen ist eine Wonne, sie von oben zu sehen pure Lebensfreude.

 

Der Brunnen
23. November 2020
Tag 22

Wenn etwas sprudelt, plätschert und einfach klar ist, hat es eine Bedeutung. Es ist die Melodie der Mittagspause, eine „kleine feine Dorfmusik“. Quellwasser trägt diese Reinheit und Sauberkeit in sich, der man instinktiv vertraut und für einen wesentlichen Teil eines guten und gesunden Lebens hält. Es tritt zu Tage und fällt zu Boden, ein beruhigender Kreislauf und oft in der Mitte von Gemeinschaft, in den Zentren von Orten und Dörfern, auf den Marktplätzen dieser Welt.

Wasser hat so etwas Privates und Öffentliches zugleich, wie vielleicht die Luft und der Geist. Um diesem Schauspiel einen Zugang oder auch eine Bühne zu geben, erfand man den Brunnen.

In der Vergangenheit ein allgemeiner Platz der Wasserbesorgung, heute auch gerne eine gestaltete Skulptur, ein Symbol für Fortlauf und Zukunft.

Reden wir mal wieder von der „verkauften“ Mittagsruhe, von diesem Kleinod des Alltags, dieser Ruhe vom Schaffen, mit den Düften von Bratkartoffeln und Rindsrouladen, einer sommerlichen Hitze und diesem erbaulichen Flüstern des Wassers. Wenn alles gut läuft und auch niemand fährt, mäht oder saugt, nur dieser Duft, das Plätschern und diese Mittagsstille, mit einer erfrischenden Brise des Windes, die Vorhänge rhythmisch bewegt, wird man Zeuge einer Komposition, wie sie nur den aufmerksamen und andächtigen Plätzen dieser Welt vergönnt ist.

 

Die Pumpe
24. November 2020
Tag 23

Paul Frühling hat sie fast so häufig wieder hergerichtet, wie ein Schiffschaukelbremser seine Schiffschaukel aufgebaut hat.

Einmal, zu später Stunde der Kirmes, verirrte sich ein VW Käfer mit ortsunkundiger Rasanz aus Essen ins Dorf, platzierte sich stolz auf dem Sockel der Pumpe, welche er zur Seite schubste. Es knallte und schepperte, dass sich die letzten Kandidaten der guten Laune am Bierstand ungläubig umdrehten. Der Fahrer kletterte aus dem Wagen, er sei keinesfalls zu schnell gewesen, Angriff schien seine beste Verteidigung. Der Vater von Rebecca Albertina hatte zwar keinen Dienst, aber Freude und Freunde am Bierstand, war quasi Zeuge und staunte nicht schlecht.
Jetzt wurde geredet, geklärt und es soll auch um Physik gegangen sein, zumindest was noch möglich war. Die Hüpfburg, der Käfer und die Pumpe mussten neu.

Diese Pumpe hatte schon lange kein Wasser mehr, war aber Zeuge ihrer wichtigen Vergangenheit. Beim Schützenfest gehört sie den Kindern zur besseren Sicht, für die großen Kinder ist sie der Mittelpunkt der Welt. Im Frühling und Sommer beneidet sie den Brunnen, den Rest des Jahres haben beide frei.

 

Konstantin van Straelen
25. November 2020
Tag 24

Was wohl die Leute über ihn denken, wenn er so durch das Dorf läuft, können sie seine Gedanken lesen, ist er ihnen egal? Er selbst hat Fragen, wie all die anderen in schwierigen Tagen, wo will das hin, was kann er tun? Die Kirche scheint ein Loch zu haben, so groß wie ein Schaf, ein Schlauchboot wäre längst havariert.

Ein Pastor in der heutigen Welt wirkt wie aus der Zeit gefallen, sie zusammenzuhalten scheint große Kunst. Anachronistisch mag das alles schon sein, sein Gewand, dieses alte Pfarrhaus, die uralte Kirche, ganz viel Gestern und wenig Heute, und morgen? Das schreit doch nach Veränderung, nach Begeisterung, blau und weiß, er hört sich lachen.

Es sind die Berge am Niederrhein und dass Surren der Wanduhr, beides hat Willen und bedarf dieser zuversichtlichen Vorstellung. Er muss es in Worte fassen, schneller durchs Dorf gehen und das „Egal“ aus den Gesichtern löschen. Diese Kirche in ihrem grundsätzlichen Wesen ist eine tiefe kulturelle Wurzel unseres Lebens.

Die Messdiener, mit denen er alljährlich in die Berge fährt, wissen um seine Schwäche für Gummibärchen und den FC Schalke 04. Er liebt diese Position, aber auch diese Freude der jungen Menschen. Ein Glück, dass die Konfession und das Geschlecht hier keine Rolle mehr dabei spielen, wer an diesen Fahrten teilnehmen darf, das hat man gelernt.

Diese Zeiten sind unruhig, ungeduldig und für seine Arbeit gerade die richtige Herausforderung. Die Uttendorfs laden am Sonntag zu Braten und Kaffee, lassen ihn dazwischen, wollen was teilen. Seine Kirche klaut die Angst, liebt die Menschen und den Sonntag.

 

Sieglinde
Wehenbach-Weber
26. November 2020
Tag 25

Sieglinde sitzt gerne in ihrem verwunschenen Garten, einem bunten Kleinod, das immer ein bisschen außer Kontrolle geraten wirkt und sich kreuz und quer dem Licht entgegenstreckt. Eine liberale Pracht, so soll das sein. Mit einem fruchtigen Tee in der Hand, schaut die evangelische Pfarrerin einer kapitalen Biene bei ihrer Arbeit zu. Dieser lebendige Organismus scheint intakt, jeder weiß, was zu tun ist, hier passt das eine zum anderen.

Stopp, irgendwas stört sie, diese Quecken hat sie nicht gepflanzt. Mit leichter Unruhe tippt sie in ihr Smartphone: „Du weißt, wie ich das sehe mit dem Kraut und dem Unkraut, Quecken sind keines von beidem, die sollten weg, wie besprochen.“ Sie lebt im Untergrund, schlimmstenfalls in deinem, wenn man ihr die Wurzeln durchtrennt, vermehrt sie sich wie der Kopf einer Hydra. Sie kennt niemanden, auch nicht Karl-Heinz, der sie isst, zum Korbflechten und Weben reicht es nicht, auf ganzer Linie nutzlos.
Karl-Heinz, ihr Mann, ist in gewisser Weise ein Purist, Naturschützer und in diesen Dingen auch gerne ein ewiger Rechthaber. Quecken können Milch, Steaks und Frikadellen, so sein Kommentar.

Diese endlosen Diskussionen landeten dann irgendwann bei der Vielfalt der Menschen, der Bibel und dem Veganismus. Sie hat schon mal dran gedacht, diesen komplizierten Disput in eine Predigt zu gießen, ihre Position mit Bibelversen zu unterfüttern, da gab es leider keine. Sollte er Recht haben? Gut, dass sie das Streiten beherrschen, schade, dass er kein Veganer ist, er wüsste dann anders mit Quecken umzugehen.

Über das Streiten, verirrte Ansichten und Hafermilch wird sie am Sonntag sprechen.

 

Evangelische Kirche
27. November 2020
Tag 26

Um Kirchen drapieren sich immer gerne die Häuser, Geschäfte und Kneipen, sie stehen meist mitten im Ort und einmal die Woche wird hier das Wort geteilt, verteilt oder erteilt.

Man kommt zusammen, spürt Stimmung, Stille und Gemeinsamkeit. Die besten von ihnen gehören den Schafen und nicht dem Schäfer, ein wandernder Besitz, kein Eigentum. Da denken manche anders, das hält die Menschen in Bewegung, ein ewiges Zwiegespräch.

Manchmal groß und bunt oder klein und aufgeräumt wie diese, über die wir gerade reden. Viel Platz nach oben, schlicht im Ausdruck und kein Bänkchen für die Knie. Wo die einen mehr sind als die anderen, hängt auch immer von der Gegend ab, in der man solche Fragen stellt. Unsere ist eine kleinere, ein Backsteinbau, einfach und jünger als die der Katholiken im Dorf. Das hat Gründe, das ist lange her. Das Wesentliche steckt immer zwischen den Steinen, nicht in ihnen. Kirchen sind kein Labor der Wissenschaft, vielmehr Orte der Zuversicht.

 

Katholische Kirche
28. November 2020
Tag 27

Mit den Augen eines Kindes, ein großes, spannendes Gebäude. Hier begannen meist die Feste, im Korridor der Stille, schweigen und lauschen, bevor getafelt und gefeiert wurde. Die Sakristei, der Glockenturm und der Dachstuhl, geheimnisvolle Räume mit unvorstellbaren Geschichten. Der Klang der Glocken verriet den Anlass der anstehenden Zusammenkunft. Das Geläut der Beerdigung unserer vorletzten Spielzeughändlerin existiert noch heute auf einem Mobiltelefon, vielleicht taucht ihr Klang wieder auf, als Element eines musikalischen Dankes für grundlegende Wirksamkeit im Ort.

Danke ist auch ein bekanntes Lied aus den Gottesdiensten der Jugend, da durften auch mal die elektrifizierten Geräte und Schlagzeuger ans Werk. Es dröhnte im sakralen Raum, eine damalig akzeptierte „Frechheit“ der jungen Schäfchen.
Es gab auch diese unglaublichen musikalischen Momente, die diesen Ort zu einem besonderen machten. Sie ist dann wie ein opulenter „Tonträger“, eine wunderbare Vermählung von Architektur, Chorälen, bombastischen Orchestern und dieser andächtigen Aufmerksamkeit, ein himmlischer Moment. Diese Schützenmessen am frühen Morgen, mit der Sonne durch die Ostfenster und dieser gesungenen „Vorfreude“ aus Kirchenchor und Dorf, man fühlt diese feine sensible Beziehung aller Anwesenden.

Die Musik sucht die Orte der Stille und der Andacht, erlebt Räume mit Geschichte, Platz und Zeit.

 

Kindergarten
& Altenheim
29. November 2020
Tag 28

Im Kindergarten gewinnt das Dasein an Regelmäßigkeit, man lernt das Schwimmen im Teich der kleinen Persönlichkeiten, bestenfalls geht die Ordnung mit dem eigenen Freigeist noch spielerisch spazieren. Es wird gesungen, gemalt und umgeworfen, getestet was so gehen kann. Das Zuhause ergänzt, begrenzt und rundet ab, es riecht oft noch heute wie damals, was nur die Eltern wissen können.

Im Kindergarten studiert man die schönen Seiten jeder Jahreszeit und in der Achtsamkeit des anderen wird die Freude hofiert. Der Morgen beginnt mit dem Sitzkreis. Diese Tradition kalibriert das lebendige Durcheinander, die ersten „dicken“ Freundinnen und Freunde werden gewonnen, um dann in der Schule Fahrt aufzunehmen, seine Interessen zu vertiefen und Träume in Ziele zu verwandeln.
Grundsätzliches wird im Kindergarten pädagogisch bunt gemalt, wild getanzt und leise gesungen, man lernt sich einzuordnen, um nicht unterzugehen. Die Flasche ist in der Regel halb voll, viel Sonne, Ja und Lebensfreude.

Irgendwann trifft man sich wieder, um sich von Früher zu erzählen, gemeinsam zu singen, im Kreis zu sitzen und Gesellschaft zu genießen. Das Stupsen, Studieren und Naschen verliert an Kraft, offene Ohren für all das zu erzählende ist das Gold des Alters. Diese Häuser der Alten sind voller gelebter Geschichten und hoffentlich ein Teil unserer Aufmerksamkeit.

 

Helle Petra
30. November 2020
Tag 29

Heute hat sie Geburtstag, ich schätze ihr Neununddreißigster dürfte es sein. Gut gehalten, würde auch Cesar Luis Menotti sagen, Tore schießen sollen die anderen, es gibt was zu verteidigen, vielleicht die Ehre oder das Unsichtbare, ein Gefühl von Wärme. Die Helle Petra ist wie ein mentales Kernkraftwerk, verbindet manches mit vielem, die Pflicht mit der Kür und steht selten im Weg.

In Rom mag man die Petras gerne fleißig und leise, die Welt ist aber über die Jahrhunderte eine andere, eine lautere geworden. Zeiten ändern sich, ohne dass was geändert wurde. Bequem und rau, maßlose Möglichkeiten eilen voraus, sie einzufangen und schneller zu sein, ist auch immer eine Frage des Gemüts, der Ausdauer und der Perspektive. Dosierte Gemütlichkeit in Verbindung mit existentieller Dringlichkeit sind die Pole, die uns täglich hin und her schupsen. Die Helle Petra schafft Raum, Ruhe und hütet die Zuversicht. Den Stock überlässt sie dem Mittelstürmer, sie bestimmt den Takt mit Blumen und Hingabe. Wenn die Vorstände dieser Welt gerne auf große Tore spielen wollen, weil viele geschossen werden müssen, brauchen wir eine bessere Innenverteidigung. Menschen, die sich kümmern, vertrauen und den Kasten sauber halten, am Ende sollten die Tore kleiner und die Angriffe vielfältiger sein. Wer die Wiese mit einem zu großen Traktor mähen will, sollte die Verdichtung der Böden und die Fähigkeit der Regenwürmer im Auge behalten. Lebendigkeit ist eine ansteckende Tugend, ein Geschenk. In unserem Dorf hobelt man gerne, Späne fallen, es wird gestrichen, mal weiß und zu Bach, wir sind. Vielseitig, neugierig, streitbar und leichtfertig, auch gerne mal doof, das Dorf. Unsere Postboten werden immer dünner, das Kaufen immer unsportlicher und in jedem Sack Kartoffeln steckt ein autogenes Training. Das Moderne schleicht mit List in unsere Mitte, Teilhabe macht gelassen. Einiges, aber längst nicht alles, habe ich hier erzählt, manches wird bewusst verschwiegen, das besprechen wir nur persönlich.

Alles Gute zum Geburtstag, liebe Petra, und an all die anderen hellen Petras, seht uns nach, wenn wir Männer glauben, genetisch dazu verurteilt worden zu sein, stetig Dinge zu jagen und Punkte zu sammeln. Man sollte keine Rollen verteilen, Klischees vertiefen, da provoziert die Werbung und eine zu restaurierende Tradition. Ein Dorf sollte schlau genug sein, zu wissen, dass all diese großen und kleinen Fähigkeiten nicht ausschließlich dem Geld gehören, manchmal teilt man sie für ein größeres Ganzes. Geschichten erzählen, die Dinge, Tiere und Menschen in Beziehung bringen, fiktiv oder wahr, es ist eine Idee. Die Helle Petra gibt es wirklich und Amazon ist nur die Vorhut, ob Amazonien das Paradies sein wird, da lassen wir uns dann mal überraschen.

 

Ein guter Grund, die Routine zu entstauben

Jetzt kennt ihr all die 31 Motive unseres Spiels, die „Helle Petra“, mit ihren fiktiven Geschichten und minimal realen Anekdoten. Die Sau Rosalinde, die Milchkuh Nevada und der Schützenkönig Paul Frühling, sie sind, sie bleiben und haben irgendwie mit allem ein bisschen zu tun. Ein Dorf weist Ähnlichkeiten auf mit den weitreichenden Wurzeln der Pilzkulturen im Wald, ein Beziehungswerk. Menschen, Tiere und Dinge, die uns hier im Nah fast täglich umgeben, sie sind ein Teil von uns geworden, mehr oder weniger auch spielbestimmend.

Das Tagebuch II habe ich mir aus den Fingern gesogen, mit nassen Pinseln bunt gemalt, nachdem mein Bruder Christoph den Strich und die künstlerische Haltung vorgab, gewisse Eigenarten hinterließ und wir nie sagen werden, wem, wer und was es zu nahekommen könnte. Aus dieser stillen Zeit haben wir daraus ein Kartenspiel gebastelt, es wird gerade in Kooperation mit dem Gewerbeverein in den Geschäften des Dorfes verlost und bei uns im Pop Shop verkauft – solange der Vorrat reicht.

Ein kleiner munterer Spaß, den wir einer bedrückenden Tristesse unter die Nase reiben, um kurzweilig der Weihnacht entgegen zu kommen. Einige Motive des Spiels haben es in ein Set von 10 Postkarten geschafft, um den Leuten zu schreiben, die vielleicht Weihnachten woanders zu Hause sind und bleiben müssen. Dieses gibt es auch im Pop Shop und Bleistifte noch dazu.

Es tut was Gutes mit einem, etwas zu malen, zu texten, sich was auszudenken und händisch zu fertigen, einzupacken und zum Verkauf anzubieten, wie eigene Kartoffeln oder Radieschen. In diesem Prozess kommt alles einfach vor, was damals Usus war; vom Einfall bis zum Überfall. Geschäftsfähigkeit ist auch immer ein pikanter Aspekt der Kultur, ihr etwas abzuringen, Verständnis zu erzeugen, um dann Begeisterung und Zahlungsfähigkeit zu ernten, ein Lernprozess. Zwischen all den Spielen, Paketen und von uns gebackenen Plätzchen soll eine Freude und Lust erkennbar bleiben, die wir auch jedes Jahr in unsere Festivals stecken. Dieser gestaltende Prozess erwuchs aus den Umständen seit März, dieser nicht vorgesehenen Zeit, um mal wieder unsere Motivation zu hinterfragen, die Gründe von der Routine zu entstauben, zu spüren, was uns treibt, befeuert und handeln lässt. Die Musik ist und bleibt, was uns bewegt, zu Euch und hoffentlich Euch auch weiterhin zu uns.

Stefan

 

 

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